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21.10.2022

Modernisierung Kanderbrücke Mülenen

Bei der Talstation der Niesenbahn in Mülenen (Kandertal im Kanton BE) steht ein wertvolles Brückenensemble. Die zwei Stahl-Fachwerkbrücken, erbaut um 1910, sind mit ihren genieteten Verbindungen Bauwerke von historischem Wert, wie man sie in der Schweiz immer seltener findet. Die nordseitige Strassenbrücke wurde in den letzten Jahren dem Verfall überlassen und sollte daher abgerissen werden. Dank moderner Ingenieurbaukunst und Überzeugungskraft liess sich das Bauwerk erhalten.

Die Kanderbrücke bildet den zentralen Einstiegspunkt ins beliebte Wander- und Erholungsgebiet am Niesen. Im Frühjahr 2020 stand das Bauwerk kurz vor der Sperrung. Die sekundären Fahrbahnträger waren an mehreren Stellen durchkorrodiert und die Belagsfläche stark deformiert. Statt das Bauwerk abzubrechen, konnten wir der Gemeinde Aeschi bei Spiez aufzeigen, dass die Strassenbrücke erhalten werden kann und diese Variante gegenüber einem Neubau zudem wirtschaftlicher ist.

Traditionelle Bauweise kombiniert mit moderner Technik
Mit dem Einsatz des Werkstoffs UHFB (Ultra-Hochleistungs-Faserverbund-Baustoff) konnte traditionelle Bauweise geschickt mit modernster Technik verwoben werden. Die alte, schwere Fahrbahn aus Zoreseisen, überdeckt mit Stampfbeton und mehrfach aufgetragenem Belag, war undicht und hat das Bauwerk durch das hohe Eigengewicht stark beansprucht. Der Rückbau und die Entwicklung einer neuen, vorfabrizierten Fahrbahn aus UHFB haben es erlaubt, das Eigengewicht stark zu reduzieren und so die Tragkapazität des Bauwerks ohne zusätzliche Verstärkungsmassnahmen massgeblich zu erhöhen.

Fachübergreifende Zusammenarbeit
Ende 2021 haben die Arbeiten zum Erhalt der Strassenbrücke begonnen. Nach dem Rückbau der alten Fahrbahn wurde das verbleibende 45 Tonnen schwere Stahltragwerk angehoben, um eine Gefährdung der Baustelle durch Hochwasser auszuschliessen. Wasserbauspezialisten aus unserem Expertenteam für Naturgefahren aus Spiez haben dabei eine Risikoanalyse vorgenommen und damit das Brückenbauteam aus Bern tatkräftig unterstützt.

In enger Abstimmung mit den kantonalen Ämtern und Fachstellen ist die Kanderbrücke Anfang 2022 sorgfältig «eingepackt» worden. Der schadstoffhaltige alte Anstrich und die Lage direkt über der Kander haben eine komplette Gerüst-Einhausung zum Schutz der Umgebung erforderlich gemacht. Dank der Unterstützung unseres Umweltteams konnte die Umweltverträglichkeit der Bautätigkeiten sichergestellt und mittels Messreihen dokumentiert werden. Mit einem seitlich angebrachten Fussgängersteg war der Übergang während der gesamten Bauzeit für den Langsamverkehr nutzbar. Noch im Schutz der Einhausung und nach Auftrag der Grundierung konnten die neuen Fahrbahnauflager montiert und einzelne Knoten instandgesetzt werden.

Innovative Neuentwicklung von UHFB-Fahrbahnelementen
Die Ausführung der neuen UHFB-Fahrbahnelemente fand in enger Kooperation mit Prof. Dr. Eugen Brühwiler von der ETH Lausanne statt. UHFB ist ein faszinierender neuer Werkstoff, der bei richtiger Anwendung zu sehr dauerhaften, ökologischen und ökonomischen Lösungen führt. Die verwendeten UHFB-Platten sind auf dem Kopf im sogenannten Match-Case-Verfahren gefertigt worden und können dank der Schalungsmatrizen mit zertifizierter Rutschfestigkeit ohne weitere Beschichtung direkt befahren werden. Während die Farbe mit Beton assoziiert wird, lässt die Riffeloptik an Stahl denken. Diese bewusste visuelle Kombination soll aufzeigen, dass es sich um einen neuen Werkstoff handelt, der Vorteile von traditionellen Baustoffen vereint. Die neue Fahrbahnplatte mit untenliegenden Querrippen ist lediglich 7.5 cm stark. Die Elemente sind so bemessen, dass sie jeglichen Strassenverkehr ohne Einschränkungen aufnehmen können.

Die neue UHFB-Fahrbahn ist segmentweise in hoher Qualität im Werk vorfabriziert und innerhalb eines Tages versetzt worden. Die Fugen zwischen den Elementen sind durch ein Vorspannsystem dauerhaft und somit komplett wasserdicht überdrückt. Optisch ansprechend und direkt befahrbar sind die UHFB-Elemente nur halb so schwer wie die alte Fahrbahn. Floss das Wasser bisher einfach über den Rand auf die Stahlkonstruktion, ist nun eine Entwässerung direkt integriert und das modernisierte Fachwerk dauerhaft geschützt. Nebst der Denkmalpflege des Kantons Bern und der Niesenbahn haben auch die Mobiliar Genossenschaft das Projekt im Rahmen ihres Programms «Mobiliar Fonds Brücken & Stege» zugunsten der Schweizer Wanderwege unterstützt.

Erhalt von Baukultur durch gemeinsames Engagement
Anfang April 2022 ist die Brücke pünktlich und unter Einhaltung der Kosten- und Qualitätsziele wiedereröffnet worden. Eine kleinteilige Vergabestrategie hat es erlaubt, überregionale Spezialisten mit lokalen Unternehmen zusammenzuführen und somit eine hohe Identifikation für das Bauvorhaben zu schaffen. Dank moderner Ingenieursbaukunst, engagierten Unternehmungen und einer tatkräftigen Unterstützung der Gemeinde Aeschi bei Spiez konnte gemeinsam ein Stück der Baukultur im Berner Oberland erhalten werden.

Auszeichnung
Das Projekt ist am Young Engineers' Symposium 2022 sowohl mit dem Jury- als auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet worden. Der durch die IABSE (International Association for Bridge and Structural Engineering Schweiz) organisierte Anlass bietet jungen Ingenieur:innen eine Plattform zur Vorstellung ihrer Projekte. Der Beitrag ist dabei insbesondere für die technische Lösung, den Umgang mit Baukultur und seine Nachhaltigkeitsaspekte gewürdigt worden.

Beteiligte Unternehmen:
Dorfschmitte, Aeschi
Element AG, Tafers
Emch+Berger AG Bern (Planung und Bauleitung)
GeoWork AG, Aeschi
Hans Brügger, Reichenbach
Marty Korrosionsschutz AG, Jona
Roth Gerüste, Lyss
Von Niederhäusern AG, Erlenbach
Zurbrügg Hoch- und Tiefbau, Reichenbach